Hier im Texttreff haben wir eine liebgewonnene Tradition: das Blogwichteln. Jede Textine, die mit ihrem Blog teilnehmen will, wirft ihren Namen in den Lostopf und darf dann für eine andere Textine einen Beitrag verfassen. Dieses Jahr gibt es allerdings eine kleine Änderung: Aus dem weihnachtlichen Blogwichteln wurde ein vorösterliches Bloghoppeln. Vorhang auf für meine Texttreff-Kollegin Heike Baller, die uns erzählt, warum sie als Leserin Übersetzerinnen und Übersetzer liebt.

Als Leserin liebe ich Übersetzer*innen
Vieles von dem was in meinem Bücherschrank steht und mir schöne Stunden beschert, verdanke ich Übersetzer*innen. Ohne sie wäre mir Literatur aus anderen Ländern nicht zugänglich. Selbst wenn ich mich nur auf englischsprachige Literatur konzentrierte. Um Literatur genießen zu können, bedarf es ja nicht nur des reinen Verständnisses der Wörter, sondern auch der Anspielungen, der Wortspiele, des Kontextes und einiger nicht gut greifbarer schwebender Aspekte mehr. Das ist nur wenigen in einer zweiten Sprache so tief möglich wie in ihrer Erstsprache. Ich gehöre ganz bestimmt nicht dazu.
Genau diese Sprachfähigkeit ist das Kapital von Übersetzer*innen. Neben den sprachlichen Fähigkeiten, die ein Neu-Kreieren des Textes in der Zielsprache ermöglichen, brauchen sie auch Kenntnisse über Kultur und Geschichte, über Wortherkünfte und Sprachgewohnheiten. Das gilt nicht nur für die Sprache, aus der heraus sie übersetzen, sondern besonders für die Zielsprache. Das sollte in der Regel dann wirklich die Muttersprache sein. Sie müssen in der Lage sein, die benötigten Informationen zusammenzutragen und die beiden Ebenen in ihrem Übersetzungsprozess in eine möglichst gute Deckung zu bringen.
Hier folgen nun ein paar kleine Anekdoten, die ich rund um Übersetzungen literarischer Werke erlebt habe.
Ich erinnere mich mit Vergnügen an die Sitzungen, die unser Germanistikprofessor Ende der 80er Jahre unter dem Titel „Germanist und Arbeitswelt“ einführte. (Ja wir waren mehr als 80 % Frauen im Studiengang, aber das generische Maskulinum war noch die Regel.) Immer für zwei Sitzungen kam eine Person aus einer Berufssparte, um in der ersten Sitzung die Anforderungen an den jeweiligen Beruf vorzustellen, eine Aufgabe zu stellen und dann in der zweiten Sitzung die eingereichten Lösungen zu besprechen. Aus einem Verlag kam dann ein Übersetzungsauftrag. Und einer meiner Kommilitonen (ja, ein Mann) bekam dann tatsächlich den Auftrag, daran weiterzuarbeiten, weil seine Übersetzung des Namens „Big Foot“ mit „Quadratlatsch“ so überzeugte. Ich kannte den Kommilitonen nicht, nehme aber an, dass er auch Anglistik studierte.
Gerade von älteren Texten wie von Jane Austen gibt es ja verschiedene Übersetzungen, auch in verschiedenen Verlagen. Ich finde es sehr spannend wie sehr eine Art Primärsozialisation mit einem Übersetzungsstil die weitere Lektüre prägen kann – für mich am vertrautesten ist bei Jane Austen die des Ehepaars Grawe aus dem Reclam-Verlag. Mögen die anderen noch so kunstvoll und eloquent übersetzt sein – sie sprechen mich nicht so an.
Hin und wieder kann der Blick ins Original natürlich auch spannend sein. Meine andere englische Lieblingsschriftstellerin heißt Dorothy L. Sayers. Sie hat den Nobeldetektiv Lord Peter Wimsey erfunden. Die noch heute benutzte Übersetzung von Otto Bayer aus meiner Kennenlernzeit mit der Autorin konnte ich bei einem Band mit einer anderen, älteren, vergleichen und stellte fest, dass hier eine Bedeutungsverschiebung oder gar -verfälschung vorlag. Und zwar bei der damals modernen Übersetzung von Herrn Bayer. Gegen Ende des ersten Kapitels von „Starkes Gift“ spricht er an einer Stelle von Frauen als Mordopfern, während in einer anderen Übersetzung von Mörderinnen die Rede ist. Das ist schon ein Unterschied, oder? In der amerikanischen Ausgabe von 1967 heißt es murderees – eine ungewöhnliche Form, die man in Analogie zu mentee durchaus als Mordopfer übersetzen könnte. In der englischen Ausgabe, die mir zu Hause vorliegt hingegen heißt es murderesses, also Mörderinnen. Da muss man sich wohl schon genau überlegen, welchen Text man da zugrunde legt und ob man die jeweilige Ausgabe benennt. Hier einzutauchen war mir als Recherchefachfrau natürlich eine große Freude. Übersetzungen sind also spannend, anspruchsvoll und für Leserinnen wie mich einfach nur ein Geschenk – ein großes Dankeschön an alle Übersetzer*innen.

Heike Baller arbeitet seit 1995 als freiberuflich Rechercheurin und gibt ihr Wissen rund um Internet- und Literaturrecherche in Seminaren, Webinaren und anderen Formaten an Interessierte weiter. Dazu gehören Hochschulen und andere Bildungsträger.
Website: https://www.profi-wissen.de
Vielen Dank für diesen tollen Beitrag, liebe Heike!