Das alljährliche Blogwichteln in meinem Netzwerk, dem Texttreff, ist schon zu einer lieben Tradition geworden. Diesmal hat das Los mir Sabine Schlimm zugeteilt, die sich in ihrem Blog www.schmeckt-nach-mehr.de mit der nahrhaften Seite des Lebens befasst. In ihrem Gastbeitrag zeigt sie uns, welche Tücken das Übersetzen von Kochbüchern und Rezepten so haben kann.
Kunst? Kochbücher übersetzen? Ein Rezept besteht doch bloß aus ein paar Zutaten und wenigen Variationen von „rühren, kochen, abgießen“!
Jein. Klar, rein unter sprachlichem Aspekt hält sicher nobelpreiswürdige Literatur deutlich mehr Herausforderungen für uns Übersetzer_innen bereit. Aber auch bei Kochbüchern geht die Arbeit normalerweise nicht ohne ein bisschen Geknobel ab, und es hilft durchaus, etwas vom Kochen (und Rezepteschreiben) zu verstehen. Denn die Kunst besteht darin, Rezepte abzuliefern, die nicht nur auf Deutsch lesbar, sondern auch mit hiesigen Mitteln nachkochbar sind. Und auf dem Weg dahin lauern ein paar kleine Stolperfallen.
Kleine Küchenmathematik
Wer wie ich aus dem Englischen übersetzt, kennt das Problem mit der Umrechnung der Maße und Gewichte. Zum Glück kommen mir nur noch selten Kochbücher unter, in denen Zutaten ausschließlich in nicht-metrischen Maßeinheiten wie Cups, Ounces, Pounds oder Quarts angegeben sind. Aber es gibt sie! Und dann fällt das Umrechnen in mein Ressort. Zu meinem Glück (und vermutlich dem aller Kochbuchbenutzer) gibt es jede Menge Umrechner im Internet; sogar ausführliche Listen, aus denen man das Gewicht in Gramm für alle möglichen in Cups angegebenen Zutaten ablesen kann. Ich verwende am liebsten diese Seite dafür – die aber auch nicht absolut zuverlässig ist, denn dass Spinat nun roh und gekocht dasselbe Volumen haben soll, halte ich für ein Gerücht. Manchmal bleibt einem daher nur, sich selbst an die Küchenwaage zu stellen und die Probe aufs Exempel zu machen.
Recherche nach unbekannten Zutaten
Aber wie gesagt: In den meisten Kochbüchern sind die metrischen Angaben zumindest mit notiert. Gut – denn die meiste Zeit frisst beim Übersetzen die Suche nach Zutaten, die hier unbekannt oder nicht ohne Weiteres erhältlich sind.
Für einige immer wiederkehrende Probleme lassen sich relativ schnell Lösungen finden: Das in Großbritannien so beliebte self-raising flour, also bereits mit Backpulver vermischtes Mehl, wird einfach wieder in seine Bestandteile zerlegt und angegeben als Mehl plus Backpulver (auf 500 g Mehl 1 Päckchen = 4 TL Backpulver). Für viele weitere amerikanische und britische Mehlsorten und ihre hiesigen Äquivalente gibt es eine nützliche Übersicht im Blog Brot & Meer.
Vanilla extract, das im angelsächsischen Raum üblicherweise verwendet wird, um Gerichte mit Vanille zu aromatisieren, lässt sich zwar ganz einfach selbst herstellen – aber wer ein Kuchenrezept nachbacken will, möchte schließlich nicht erst ein paar Wochen vorher Vanille in Alkohol einlegen. Deshalb kann man es in Rezepten einfach durch die hier üblichen Vanille-Erscheinungsformen ersetzen: Mark von frischen Vanilleschoten, Vanillezucker beziehungsweise gemahlene Vanille. Die genauen Mengen müssen dann ein bisschen über den Daumen gepeilt (beziehungsweise anhand ähnlicher Rezepte herausgefunden) werden. Aber auch vanilla extract ist nicht gleich vanilla extract; die Konzentration variiert und damit schon im Originalrezept der Vanillegeschmack.
Schwieriger wird die Sache bei anderen Zutaten, die definitiv hier nicht erhältlich sind. In einem Buch, das für den australischen Markt gedacht war, lernte ich beispielsweise die exotischsten pazifischen Fische kennen – die allesamt hier nicht in den Handel kommen. In solchen Fällen bleibt nur, die ungefähren Kocheigenschaften der Originalzutat herauszufinden und einen entsprechenden Ersatz anzugeben. In dem erwähnten Buch lief das häufig auf „festen, weißfleischigen Fisch, z. B. Seelachs“ heraus.
Natürlich gibt es aber auch den umgekehrten Fall. Wird zum Beispiel in einem britischen Kochbuch lang und breit über das exotische und unbekannte Gemüse gesprochen, das neuerdings häufiger in Biokisten auftaucht und vor dem so viele Leute rat- und rezeptlos stehen, dann lässt sich an der Stelle eine Menge Text einfach streichen (oder umformulieren): Bei uns ist der gute, alte Kohlrabi schließlich nicht erklärungsbedürftig.
Falsche Zutaten-Freunde
Allerdings kann die Tücke bei der Kochbuchübersetzung auch in den Details stecken, die ganz harmlos aussehen. Harmlos wie die dicke, fettreiche double cream, die in englischen Rezepten gerne verwendet wird. Einfach, hier gibt es schließlich ebenfalls Crème double im Kühlregal! Ja, schon – aber schön teuer. Und in vielen Fällen überhaupt nicht nötig. Denn oft wird in britischen Rezepten die dicke Sahne einfach zum Aufschlagen benutzt, weil sich nicht jede andere dort erhältliche Sahne dafür eignet. Bei uns kein Problem: Zum Aufschlagen reicht hier normale Sahne.
Auch Spargel ist nicht gleich Spargel. Im angelsächsischen Sprachraum meint man nämlich grünen, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes dabeisteht; bei uns dagegen weißen. Und das kann ein Gericht schon ziemlich verändern.
Aber vor allem Fleischgerichte halten so einige Stolperfallen bereit, denn die Fleischzuschnitte sind immer noch von Land zu Land ziemlich unterschiedlich. Und wenn man sich intensiver mit den Schemazeichnungen von zerteilten Tieren beschäftigt, dann wird es schnell verwirrend. Denn was im britischen Englisch als rump steak bezeichnet wird, wird aus einem viel kleineren Teil des Rinderrückens geschnitten als unser Rumpsteak, das auch das britische sirloin umfassen kann. Das amerikanische sirloin steak wiederum sitzt woanders als das britische. Und wenn die Briten von roastbeef sprechen, dann meinen sie unter Umständen gar nicht unser Roastbeef, sondern einfach einen Rinderbraten, der auch aus einem ganz anderen Stück stammen kann. Puh!
Längen und Rezeptstruktur
Ein ganz anderes Problem stellt beim Übersetzen die Tatsache, dass deutsche Texte generell deutlich länger werden als englische. Denn wo man bei einem Roman für die Übersetzung halt einfach mehr Seiten einplant, muss bei einem Kochbuch auch in der deutschen Fassung das Rezept auf die vorgesehene Seite passen. Das heißt: Übersetzen bedeutet im Normalfall auch kürzen, und das kann schon mal knifflig sein. Hier kann ich meine lange Erfahrung (auch als Lektorin und Autorin) mit dem Kochbuchsprech gut gebrauchen, um die jeweils kürzeren Varianten zu finden.
Besonders brisant ist das mit den verschiedenen Längen übrigens, weil im angelsächsischen Sprachraum auch der Rezeptaufbau anders ist als bei uns: Bei uns stehen in aller Regel die unverarbeiteten Zutaten in der Zutatenliste, sodass Rezepte ungefähr so anfangen: „Die Zwiebel schälen und fein würfeln. Die Paprika halbieren, Stiel, Samen und Scheidewände entfernen, die Hälften waschen und in mundgerechte Stücke schneiden.“ In englischsprachigen Kochbüchern steht lapidar in der Zutatenliste: 1 onion, chopped. Oder: 1 bell pepper, diced. Aber auch hier brauche ich in der Übersetzung mehr Platz als im Original, was häufig bedeutet, dass eine Zutat nicht eine Zeile in der Zutatenliste benötigt, sondern zwei. Wird so die ganze Liste zu lang, dann hilft es nichts: Ich muss die Vorbereitung dort herausnehmen und in den Rezepttext verlagern. Der dadurch natürlich wieder länger wird …
Manchmal ist es aber ohnehin sinnvoll, von der Vorlage abzuweichen. Oft ist das eine Frage der Zielgruppe, die ich natürlich im Vorfeld mit dem Verlag bespreche. Kommt dabei heraus, dass sich ein Kochbuch hier an Menschen mit eher durchschnittlichen Kochkenntnissen richtet, dann füge ich schon mal die nötigen Handgriffe zur Vorbereitung der Artischocken in den Text ein. Wenn dagegen in einem Buch mit gesundheitsorientierten Rezepten im amerikanischen Original ohne Wimpernzucken Zwiebel- und Knoblauchpulver verwendet werden, dann spricht viel dafür, die Rezepte für das hiesige Publikum so abzuändern, dass frische Zutaten zum Einsatz kommen.
Manchmal kommen Änderungen aber auch dadurch zustande, dass im Original offensichtliche Fehler enthalten sind. Dann wird die Übersetzung zu einer Art nachgelagertem Lektorat (sorgsam dokumentiert in einer separaten Anmerkungsliste). Hin und wieder teste ich einzelne Rezepte sogar noch mal in meiner eigenen Küche. Soll mir keiner nachsagen, ich sei in meiner Arbeit nicht opferbereit!