Der sechste Januar, der Dreikönigstag, ist traditionell der Tag, an dem spanische Kinder ihre Weihnachtsgeschenke bekommen. Und auch ich wurde heute beschenkt: mit einem Gastbeitrag meiner lieben Kollegin Caroline Elias. Im weltbesten Netzwerk professioneller Texterinnen, dem Texttreff, gibt es in den Winterwochen nämlich die schöne Tradition des Blogwichtelns. Jeweils zwei Bloggerinnen werden einander zugelost, wechseln mal eben die Fachgebiete in denen sie sonst im Kundenauftrag arbeiten um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und verfassen Texte der anderen Art.
Merci bien, chère Caroline.
(Bild: Caroline Elias)
Bonjour, Birte! Vor bald einem Jahr hast Du hier hier beschrieben, was wir alle kennen: Das Telefon klingelt und jemand wünscht, dass Du „auf einer Konferenz übersetzt“. Du bist Übersetzerin, für Unwissende klingt die Bitte nur allzu logisch. Unsereiner weiß aber, dass schrifliche Übertragungen, also das Übersetzen, mit mündlicher Übertragung, dem Dolmetschen, miteinander so viel zu tun haben wie … naja, vielleicht wie Wanderer und Marathonläufer.
Beide legen eine gewisse Strecke zurück, haben sich am Ende viel bewegt, die Strecken sind messbar. Wanderer aber legen ein gemächlicheres Tempo vor, sehen unterwegs mehr links und rechts des Pfads, bleiben auch mal stehen und beobachten, orientieren sich viel stärker an der Umgebung und finden oft selbst heraus, wo es weitergeht. Auch Marathonläufer kennen in der Regel ihr Terrain gut, meistens ist es aber abgesteckt, Zuschauer stehen am Wegesrand, gelegentlich wird Wasser gereicht, der Faktor Geschwindigkeit ist hier viel wichtiger.
Auch Übersetzer, die oft zuhause arbeiten, müssen sich wie die Wanderer eigenständig um ihre Wegzehrung und die Besonderheiten des Weges kümmern. Wir Dolmetscher, pardon!, Marathonläufer haben uns schon im Vorfeld eingehend mit den Besonderheiten der Gegend befasst … und hier hinkt der Vergleich auch schon, ich weiß nicht, ob der gemeine Marathonist von der Gegend, die er durcheilt, so viel weiß wie unsereiner von den jeweiligen Konferenzthemen. Die Vorbereitung, bei der wir uns neben Hintergrundwissen auch Fachtermini und -floskeln aneignen, ist der unsichtbare Teil unserer Dienstleistung und übersteigt in Zeit die Dauer der Dolmetschdienstleistung oft um ein Vielfaches.
Übersetzer haben im Normalfall mehr Zeit während sie übersetzen, es sei denn, es ist ein Eilauftrag. Sie können in Ruhe nachschlagen, Satzvarianten ausprobieren, Foren durchsuchen oder dort Kolleginnen und Kollegen Fragen stellen. Dolmetscher müssen mit dem Tempo der Redner mithalten, der Kabinenkollege (oder die Kollegin) kann noch rasch Vokabeln raussuchen oder mal einen fehlenden Begriff aufschreiben; im Wesentlichen aber müssen wir mit den Bordmitteln arbeiten.
Dolmetschen und Übersetzen kommen aus dem gleichen Bereich, in beiden Fällen hantieren wir mit ‚fremden‘ Sprachen, aber es handelt sich, wie Du richtig schriebst, um zwei unterschiedliche Berufsbilder. Mit einem Unterschied: Während viele Dolmetscher auch übersetzen, dolmetschen nur ganz wenig Übersetzer.
Das langsamere Moment, das Abwägen und Recherchierenkönnen direkt bei der Arbeit, das die Übersetzerei auszeichnet, empfinde ich beispielsweise immer als einen sehr angenehmen Rhythmuswechsel. Sehr gerne bereite ich daher Konferenzen durch die Übersetzung von Präsentationen vor. So kann ich mich in Ruhe in die Terminologie „reinschrauben“ und bekomme diese ausführlichere Vorbereitung auch vergütet.
Wechseln alle Übersetzer und Dolmetscher häufig ihren Aufgabenbereich? „In der Praxis konzentrieren sich die meisten aber doch auf eine von beiden Tätigkeiten“, schriebst Du hier.
In diesem Punkt bin ich allerdings unsicher. Ich glaube, es gibt mehr übersetzende Dolmetscher, als wir beide zusammen ahnen. Die Rückkehr in die Langsamkeit, in den Such- und Feilmodus, das Hintergründelesen ohne den riesigen Druck, wenig später schon wieder „in der Bütt“ stehen zu müssen, das Vertiefen meiner Fachgebiete, das ist es, was ich am Übersetzen schätze.
Für das neue Jahr wünsche ich Dir viele schöne Übersetzungsaufträge, die das richtige Maß an Muße und positivem Stress (und natürlich gute Honorare) bringen mögen!